Kapitel 6: Veränderung
Leise kichernd huschten sie gemeinsam durch den Gang zu Taras Wohnräumen. Durch Taras schmerzenden Knöchel gestaltete sich dies aber etwas schwerfälliger, als gewöhnlich.
"Hast Du seine Grimasse gesehen, als er gemerkt hat, dass Du heute nicht seine Vorspeise sein würdest?" Ophelia hing an ihrem Rücken, die Ärmchen halb um den Hals geschlungen. Vor lauter Gekicher konnte sie nicht mehr richtig geradeaus fliegen.
Tara schloss auf, schlüpfte durch den Spalt und schloss die Tür schnell wieder.
"Puh, ein Glück aber auch!" antwortete sie ihr.
"Freu Dich mal nicht zu früh, Tara." ertönte es in kaltem Tonfall hinter ihr. Sie drehte sich abrupt um, Ophelias kleine Finger gruben sich vor Schreck in ihren Nacken. Auf dem Diwan saßen, verlegen lächelnd, Luri und Vinn, Kela stand mitten im Raum und hatte die Arme verschränkt. Sie waren offensichtlich irgendwie hier eingebrochen, aber bei Kelas Gesichtsausdruck wurde diese Tatsache nebensächlich.
"Hallo auch an das freche Ding da. Ich wusste doch, dass da was faul ist." grimmig sah sie den beiden entgegen und winkte sie dann näher, ganz nach Manier der Chefin.
"Tara, weißt Du eigentlich in was für einem riesengroßen Dunghaufen Du gerade steckst? Und Du kommst hier kichernd angerannt! Mit einem Alpträumchen im Schlepptau! In den verdammten Wohnanlagen! Du weißt, dass das verboten ist. Du weißt das alles. Warum kannst Du Dich nicht an die verfluchten Regeln halten, meine Güte!"
Vor lauter Überraschung stand sie nur da und starrte ihren Freundinnen stumm entgegen.
"Ich wusste, dass das nicht ewig so weitergehen kann..." flüsterte Ophelia, die sich immer noch hinter ihr versteckte. "Was machen wir nur?" wimmerte sie weiter.
"Ich... ich ähm..." stotterte Tara. "Was... was ist denn passiert...?" betreten sah sie von Augenpaar zu Augenpaar und senkte dann den Blick auf den Boden.
"Du kannst Dir das Meiste eigentlich schon denken. Ich kann echt nicht fassen, dass Du Dich so dämlich verhalten würdest..." fluchend lief Kela durch den Raum, hob gedankenversunken verschiedene Gegenstände auf und legte sie wieder hin.
"Naja, aber Kela, manchmal hat man ja plötzlich eine Verbindung zu jemand anderem..." fiel Luri ihr ins Wort und versuchte so die Stimmung etwas aufzubessern, was ihr aber nicht gelang.
"Jetzt nimm sie nicht noch in Schutz! Sie kennt die Regeln genauso gut wie jeder andere Daoine! Wir lernen das von klein auf, damit genau sowas niemals passiert. Und doch gibt es immer wieder Idioten, die sich darüber hinwegsetzen!" bei dem letzten Satz bedachte sie Tara mit einem wütenden Blick. "Kela, komm runter. Wut hilft uns jetzt hier auch nicht weiter, außerdem kannst Du ja auch mal versuchen Dich in ihre Lage zu versetzen! Im Gegensatz zu Dir kann ich das nämlich!" erwiederte Luri. Sie war eigentlich immer eher still und ruhte in sich, aber wenn es sein musste konnte sie sich auch streiten. "Erinnerst Du Dich noch an Delyra*? Na, das sagt Dir was, nicht wahr? Auch wenn sie ein Träumchen war, war da doch von Anfang an eine Verbindung, die Tara mit dem Alpträumchen vielleicht auch hat."
"Das ist nicht das Gleiche!"
"Im Grunde ist es sehr wohl das Gleiche!"
Luri war inzwischen aufgestanden und erwiederte Kelas funkensprühenden Blick mit kaum geringerer Heftigkeit.
"Schwachsinn, versuch doch nicht vom eigentlichen Punkt abzulenken!"
"Wer lenkt denn hier ab, hm?!"
"HALTET DIE KLAPPE!" schrie Vinn dazwischen und ließ alle Anwesenden zusammenzucken.
"Das ist ja nicht auszuhalten hier. Luri - setz Dich wieder hin. Kela, geh da rüber. Tara, Alptraum, kommt mal zu mir." dirigierte sie jetzt. Völlig perplex folgten alle ihren Anweisungen, wussten aber nicht genau warum. Vielleicht war es der durchdringende Ton oder die Schärfe in ihrer Stimme, die sie dazu veranlassten. Zumindest herrschte jetzt Stille, auch wenn Luri und Kela noch immer heimlich wütenden Blicke austauschten.
"Okay, hör mir zu. Einigen ist aufgefallen, dass im Wohnbereich eigenartige Schwingungen sind und so kam das Eine zum Anderen und der Rat weiß Bescheid, dass ein Alptraumwesen hier ein- und ausgeht. Tara, die wissen auch, dass Du dafür verantwortlich bist. Die Mütter allein wissen, wie auch immer sie das rausgefunden haben. Egal... Du hast, im Gegensatz zu anderen, die einmalige Chance jetzt selbst zum Rat zu gehen und Deinen guten Willen zu beweisen. Resaria hat angeboten, dass Dein Prozess dann öffentlich abgehandelt wird und die Chance besteht, dass durch die Reaktionen der anwesenden Zuschauer das Urteil gemildert wird." sie fasste Tara an den Schultern und sah ihr eindringlich in die Augen. Taras Kopf war völlig leergespült und sie starrte nur ausdruckslos zurück.
"Hast Du das verstanden?"
Sie nickte.
"Du musst jetzt also sofort zu Resaria oder einem anderen Mitglied des Rates. Und überleg Dir auf dem Weg dahin einige passende Aussagen, okay? Sieh verdammtnochmal zu, dass Du nicht verbannt wirst!"
"Ja, bitte..." stimmte Luri zu.
"Ich möchte das auch nicht..." sagte auch Kela, die sich wieder halbwegs beruhigt und neben Luri auf den Diwan gesetzt hatte.
"Deine kleine Freundin kannst Du so lange bei uns lassen. Wir passen auf, dass sie nicht abhaut. Das ist wichtig für den Prozess..." fügte Vinn hinzu.
"Ophelia." hauchte ein Stimmchen hinter Taras Rücken.
"Wie bitte?"
"Ich heiße Ophelia... und ich werde nicht abhauen. Wenn ich Tara damit helfe, werde ich bleiben und mich stellen." sie kam jetzt langsam hervor und huschte dann zu der in der Ecke stehenden Wasserschale, wo sie sich einkringelte und besorgt in den Raum und die sie beobachtenden Augenpaare starrte.
Vinn umarmte Tara plötzlich und so fest, dass ihr fast die Luft wegblieb. Auch Kela und Luri kamen zu ihr und drückten sie. "Viel Glück..." sagte Kela, die anderen nickten zustimmend.
Tara atmete tief ein und aus, dann nickte auch sie, drehte sich um und lief auf direktem Weg zum Rhiagraum, dem Versammlungsraum des Rates, wo sie die Mitglieder zu dieser Uhrzeit vermutete. Ihren schmerzenden Knöchel, der inzwischen schon leicht angeschwollen war, hatte sie situationsbedingt verdrängt.
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Atmen. Laufen. Schritt für Schritt. Nicht stolpern. Nicht durchdrehen. Schmerzen ignorieren.
Taras Gedanken rasten unkontrolliert durch ihren Kopf. Natürlich hatte es so kommen müssen, aber die Hoffnung stirbt ja immer zuletzt. Immerhin hatten Ophelia und sie es geschafft fünf Jahre mehr oder weniger unentdeckt zu bleiben.
Jetzt standen sie vor einem gewaltigen Abgrund, auch nur ein falscher Schritt würde sie beide in ihr Verderben fallen lassen. Was sollte sie nur sagen? Egal wie sie es drehte und wendete, etwas anderes als die Wahrheit würde sie verunsichern und ins Trudeln bringen.
Aber was brachte ihr die Wahrheit in dieser Situation? Niemand würde sie verstehen und niemand würde auf ihrer Seite stehen. Oder?
Luri hatte sich vorhin auch für sie eingesetzt. Vielleicht gab es unter den anderen noch mehr, die mit den alten Regeln nicht mehr einverstanden waren und für eine Neuauflage kämpfen würden. Spekulationen über Spekulationen. Je mehr sie nachdachte, desto größer wurde die Unruhe und Panik, die sich unaufhaltsam in ihr ausbreitete.
Als sie endlich vor der alten, massiven Tür des Rhiagraumes ankam, pochte ihr Herz so heftig, dass es ihr wahrscheinlich bei dem geringsten Schreck aus der Brust gesprungen wäre. Sie lehnte sich kurz gegen die beruhigend kühle Steinwand und schloss die Augen um einen Moment in sich zu gehen. Mochten die guten Geister der Steine und die Traummütter mit ihr sein, wenn sie sich vor den Rat begeben würde und Ophelia und sie vor dem fast unausweichlichen Unheil bewahren. Sie atmete noch einige Male tief ein und aus, dann klopfte sie, so energisch es ihr in diesem Moment möglich war, gegen das dunkle, harte Holz der Tür. Selbstsicher sein. Keine Angst zeigen. Stark sein!
Die Antwort, die sie erwartet hatte, kam nicht, also klopfte sie erneut, diesmal noch etwas lauter.
Stille.
Plötzlich knirschte es dicht hinter ihr, jemand kam näher. Im selben Moment, in dem sie sich umdrehte, sagte Resaria: "Gut, dass Du Dich entschieden hast zu kommen. Ich befürchte, dass Du mir nun erstmal zu den Zellen folgen musst." mit diesen Worten machte die alte Frau kehrt und entfernte sich wieder von Tara, die vollkommen perplex noch immer wenige Zentimeter vor der Tür stand. Sie hatte sich unendlich viele Argumente und Antworten auf die verschiedensten Fragen und Situationen überlegt. Keine davon spielte sich so ab, wie die Realität es gerade tat. Hektisch hastete sie Resaria hinterher, so schnell es ihr mit der Verletzung möglich war. "Ich... Resaria, bekomme ich nicht irgendwie die Möglichkeit mich zu verteidigen?" fragte sie verzweifelt, als sie die Rätin, die trotz ihres so hohen Alters noch unerwartet flink war, eingeholt hatte.
Ohne stehenzubleiben und ohne sie anzusehen antwortete sie: "Natürlich bekommst Du die Möglichkeit. Morgen im Forum oder der großen Halle beim Prozess. Bis dahin müssen wir darauf bestehen, dass Du Dich in Gewahrsam begibst. Du kennst ja den Ablauf, nehme ich an. Zu meiner Zeit wurde einem das noch in der Schule beigebracht." Bei dem letzten Satz warf sie Tara über die Schulter einen scharfen, schneidenden Blick zu. Sie hatte noch nie viel mit Resaria zu tun gehabt, trotzdem wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie sie nicht mochte, schlimmer noch, sie verachtete.
Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend und wie leer gespültem Kopf folgte sie der hohen Rätin durch die Gänge und ließ sich in eine der kleinen Arresthöhlen schließen. Bisher war sie immer nur in den Verwahrungsbereich für Alpträume gekommen und hatte nie auch nur daran gedacht, sich selbst mal in solch einer Situation befinden zu können. Nun saß sie dort, mit dem Rücken an der grob zurechtgeglätteten Steinwand und blickte durch das leicht changierende Energiefeld, dass ihren Bereich von dem Gang und den anderen Zellen abschnitt und jegliche Ausbruchsversuche im Keim erstickte. Würde sie versuchen hindurchzukommen, bekäme sie einen heftigen Schlag, der sie nach hinten schmettern und wahrscheinlich ohnmächtig werden lassen würde. Sie hatte ein Mal mitbekommen, wie Luri nach dem Pflegen der Alpträumchen eine solche Schranke übersehen hatte. Sie war nur ganz leicht mit der Schulter dagegengekommen, landete aber trotzdem drei Meter entfernt mit voller Wucht auf dem Hintern. Unnötig zu erwähnen, dass sie danach zwei Wochen von der Arbeit befreit worden war.
Auch ohne die Wirkung des Energiefelds hätte Tara es niemals in Erwägung gezogen zu fliehen. Sie wusste, dass die Idee abgrundtief dumm gewesen wäre. Damit hätte sie alles nur noch viel schlimmer gemacht und hätte es wohl besser gehabt einfach freiwillig in die Verbannung zu gehen. Trotzdem tauchen solche Gedanken und Bilder ja immer unweigerlich auf, sobald man anfängt nachzudenken, auch wenn man ihnen keinen Wert zuspricht.
Sie konnte jetzt nur abwarten und hoffen, dass der Prozess möglichst früh stattfinden würde, so dass sie nicht mehr allzu lange hier warten müsste. Die Einsamkeit in der Zelle ließ sie nur noch intensiver über ihre Lage nachdenken und plötzlich auch den pochenden Schmerz ihres verletzten Knöchels spüren. Sie war so wütend und hilflos, fühlte sich irgendwie verraten, obwohl sie wusste, dass sie selbst diejenige war, die alle anderen als Verräterin abstempeln würden.
Kurz bevor sie endgültig in ihre depressiven Gedanken abtauchen und still vor sich hin weinen konnte hörte sie, wie sich jemand näherte. Sie schluckte schnell ihr emotionales Chaos herunter und wischte sich mit dem Ärmel über die feuchten Wangen, als auch schon der Schatten des Besuchers auf den Boden des Ganges vor ihrer Zelle fiel und im nächsten Moment ihre Großmutter Edna vor ihr stand.
Sie blickte von der anderen Seite des Energiefelds traurig zu ihr herüber.
"Tara..." sagte sie. In ihrer Stimme schwang neben der Trauer und Angst eine ebenso große Hilflosigkeit mit, wie sie sie selbst in sich spürte. "Wir haben versucht das alles zu verhindern, aber das wäre nicht Regelkonform gewesen. Du weißt, dass wir keine Ausnahmen machen dürfen. Gerade für Familienmitglieder nicht..." sie senkte den Blick und seufzte laut.
"Ich wollte es gar nicht glauben, als mir gesagt wurde, dass Du diejenige bist..." sie hob den Blick wieder und sah sie fragend an. Offensichtlich erwartete sie irgendeine Art Rechtfertigung oder Erklärung, aber Tara brachte keinen Ton heraus. Wenn sie jetzt etwas gesagt hätte, wäre der geistige Damm, ihr innerlicher Schutz der sie bisher vor dem Zusammenbruch gerettet hatte, eingebrochen und sie hätte die nächsten Stunden nur hemmungslos geweint. Das konnte sie sich nicht erlauben. Sie wollte es nicht.
Stumm sahen sie sich noch einige Augenblicke an, dann ergriff Edna erneut das Wort: "Ich muss jetzt wieder gehen. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, aber ich wollte Dich nochmal sehen. Kind, hab Vertrauen in Dich und Deine Entscheidungen. Hab Vertrauen in Deine Familie und Freunde und in die anderen Daoine. Wenn Du beim Prozess bist wie Du bist..." sie machte eine kurze Pause und sah ihr eindringlich in die Augen "...dann wird schon alles gut gehen." Ihre Großmutter legte die rechte Faust auf ihre Brust, an die Stelle, wo ihr Herz war, dann öffnete sie sie und ließ sie wieder sinken. "Denk daran, was die Steine letzte Woche für Dich prophezeit haben." Mit diesen Worten verschwand sie eilig wieder aus dem Arrestbereich.
Tara wusste nicht genau, was es war, aber irgendetwas an dieser letzten Geste zusammen mit der versteckten Botschaft ihrer Worte, beruhigte sie ungemein. Es würde schon alles gut werden. Vertrauen haben. Vertauen in sich selbst. Vertrauen in die Steine. Tara lehnte sich wieder zurück und schlief im nächsten Augenblick ein.
Sie schlief tief und traumlos, fühlte sich am nächsten Tag aber trotzdem mehr als unwohl und erwachte panisch, als sie von einem unfreundlichen Aufseher geweckt wurde. Ein grober Klotz, den sie ein paar Mal in der großen Halle gesehen und von Anfang an nicht gemocht hatte. Sie ignorierte ihre Abneigung und rang sich dazu durch ihn anzusprechen. "Gibt es schon mehr Informationen, wanns hier weiter geht?"
Er sah sie unverändert an, sein Gesicht war eine eigenartige Maske aus Teilnahmslosigkeit, Verachtung und Genervtheit. "Nein." antwortete er knapp in gereiztem Tonfall.
"Wieso bist Du dann hier?"
"Normaler Tagesablauf. Hier werden alle um die Uhrzeit geweckt."
Er wandte sich um und ging den Gang weiter. Mit einem an einem Neartórd, einem an einen Hammer erinnernden Gegenstand, der anscheinend gut isoliert worden war, donnerte er gegen die Energiefelder der Zellen und machte einen dermaßenen Krach, dass keiner der Daoine, die hier waren, weiter hätte schlafen können.
Auf dem Rückweg hielt er vor Taras temporärer Unterkunft inne, sah sie abschätzend an und sagte dann, lauter als nötig gewesen wäre, so dass jeder andere es mitbekam: "Hier gibts keine Sonderbehandlungen. Auch nicht für eine Soillòran**. Oder die Töchter von Ratsmitgliedern."
Er legte seinen Kopf schief und grinste sie unaufrichtig an, dann verließ er schnellen Schrittes den Kerker.
Taras Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, ihre Mundwinkel wanderten immer weiter hinab. Angewiedert starrte sie noch immer auf die Stelle, wo das Gesicht des Wärters vor wenigen Momenten noch gewesen war. Dieses schleimige Ekelpaket würde sie ab sofort ausnahmslos ignorieren. Was nahm der Kerl sich raus, sowas zu sagen und damit allen Anwesenden ein negatives Bild von ihr zu vermitteln? Ihre Annahme, dass er sie weckte um sie in die Große Halle zu geleiten, war doch vollkommen verständlich gewesen.
"Mach Dir nix draus, der is' immer so." ertönte es dumpf aus einiger Entfernung.
Aus ihren Gedanken gerissen suchte sie den Ursprung der Worte und fand ihn in dem Insassen der Zelle, die der ihren gegenüber lag. Sie hatte ihn vorher gar nicht bemerkt, weil sie so sehr auf sich und ihre missliche Lage konzentriert gewesen war. Der Mann war in den mittleren Jahren, - vielleicht älter, vielleicht auch jünger, sein Äußeres ließ das so schwer erahnen - hager und wirkte durch seine zauseligen Haare und den unrasierten Bart etwas ungepflegt. Seine Augen glitzerten sie freundlich durch die beiden Energiefelder hinweg an und weckten große Symphatie ihm gegenüber in ihr. Sie lächelte verlegen zurück und wusste nicht genau, was sie darauf erwiedern sollte.
"Normalerweise lassen die einen hier 'n paar Tage brühen bevors an den Prozess geht, aber wenn Du wirklich in Verbindung zu einem der Räte stehst, gibt's da dann sicher doch 'ne Sonderbehandlung. Die lassen Dich hier schon nicht verrotten." großväterlich lächelte er sie an und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: "Was bringt Dich hierher? Siehst nich' so aus, wie eine, die was verbrochen hat, find' ich."
An ihrer Unterlippe nagend starrte sie betreten auf den Boden. "Lange Geschichte..."
"Na, ich hab Zeit!" grinste ihr Zellennachbar.
Nach kurzem Zögern erklärte sie ihm knapp von ihrer Freundschaft mit Ophelia, wie es dazu gekommen war und warum sie sie als nicht gefährlich für die Daoine einstufte.
Nachdenklich brummelte der Duin vor sich hin, nickte schließlich und sagte: "Hört sich richtig an. Also ich kanns wohl nachvollziehen. Deine Entscheidung. Ja und generell auch. Kann mich zwar nicht so ganz in Deine Lage versetzen, weil ich noch nie mit so 'nem Wesen zu tun hatte, aber bin mir sicher, dass es viele geben wird, die zu Dir halten werden." die buschigen Augenbrauen ernst zusammengezogen nickte er ihr weiter zu.
"Ich hoffe es..." seufzte Tara. Ihr Blick traf erneut den ihres Gegenübers. Seine Augen waren bernsteinfarben und so zuversichtlich, dass ihre Hoffnung unvermittelt weiter wuchs.
"Seid ihr jetzt endlich fertig mit eurem Gerede? Hier gibt's noch Leute, die gerne weiterschlafen würden!" brüllte ein Daoine aus einer entfnernter gelegenen Arresthöhle. Überrascht verzog sich das Gesicht des Alten, dann zuckte er mit den Schultern, lächelte ihr erneut aufmunternd zu und legte sich wieder hin. Kaum, dass er seine Schlafposition einnehmen konnte ertönte das Geräusch der Eingangstür, die grob aufgerissen wurde und darauf folgend die lauten, schweren, sich nähernden Schritte des Aufsehers.
Mit dem gleichen hämischen Ausdruck auf seinen herben Gesichtszügen blieb er abermals vor ihrer Zelle stehen und stemmte die Arme in die massigen Seiten.
"Aufstehn', Püppi. Ich hab Anweisung bekommen Dich in die Halle zu bringen. Scheint jetzt ernst zu werden für Dich, hm? Aber die Kontakte, die Dich hier so schnell rausgebracht haben werden Dir im Verlauf des Prozesses rein gar nichts nützen." verächtlich stieß er ein kurzes Lachen aus, dann öffnete er mit seinem Neartórd das die Zelle verriegelnde Energiefeld, indem er das Ende des Haltegriffs wie eine Art Schlüssel in die dazu passende Mulde im danebenliegenden Gestein drückte.
Das Energiefeld flackerte kurz hell auf, dann verflüchtigte sich der Eindruck und die Barriere war verschwunden. Tara rappelte sich vorsichtig auf, immer noch durch ihren Knöchel eingeschränkt, und humpelte auf den Zellenausgang zu, in dem der Aufseher noch immer breitbeinig und grobschlächtig stand, kein Stück dazu bereit ihr in irgendeiner Weise entgegenzukommen.
Sie wollte an ihm vorbeigehen, da griff er rabiat nach ihrem Oberarm und zerrte sie rücksichtslos neben sich her. "Glaub ja nicht, dass ich Dich alleine gehen lasse. Nachher haust Du ab und dann sitz ich wegen Dir in der Klemme. Kannste vergessen."
Oh, als ob Du Vollidiot nicht wüsstest, dass ich mit diesem Fuß vor niemandem wegrennen könnte, schon gar nicht vor Dir, Du ungehobelter, wiederlicher, Drecks-... Ihre wütenden Gedanken wurden von der liebenswerten Stimme ihres Zellengegenübers unterbrochen: "Kopf hoch! Wird schon! Hör nicht auf den!" rief er ihr nach. Den gesamten Weg hallten diese Worte in ihren Gedanken nach und ließen sie die nötige Kraft sammeln, die sie für das Bevorstehende so dringend brauchte.
* Delyra: Träumchen, welches Luri in der Vergangenheit aufgezogen hat. Sie verband eine tiefe, innige Freundschaft.
** Soillòran: Bezeichnung für die Mädchen und Frauen, die an den Feiertagen singend und in Roben gekleidet durch die Traumberge wandern um die Traummütter zu besänftigen.
** Soillòran: Bezeichnung für die Mädchen und Frauen, die an den Feiertagen singend und in Roben gekleidet durch die Traumberge wandern um die Traummütter zu besänftigen.